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Keine Ostergrüße mehr! Die geheime Gästekartei des Grandhotel Waldhaus in Vulpera

Buchtipp von Daniel Sautter, JDAV Geschäftsführer

Auch im Jahr 2022 stellen wir euch hier in loser Folge Buchtipps von ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeitenden der JDAV vor. Die Auswahl ist höchst subjektiv und erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Und vielleicht regen unsere Tipps ja dazu an, beim lokalen Buchhandel das Buch zu beziehen.

Heute bringt euch Daniel Sautter, JDAV Geschäftsführer, das Buch "Keine Ostergrüße mehr! Die geheime Gästekartei des Grandhotel Waldhaus in Vulpera" von Lois Hechenblaikner, Andrea Kühbacher, Rolf Zollinger in der Edition Patrick Frey näher. Viel Freude beim Lesen!

 

 

Warum ist das Buch lesenswert?

Das Buch mit rund 400 Seiten ist eine einmalige Gelegenheit, in die Hochzeit des Tourismus in den Alpen im frühen 20. Jahrhundert einzutauchen. Es enthält die Auszüge der (geheim geführten) Gästekartei des Grandhotel Waldhaus in Vulpera im Unterengadin und bietet somit einen Blick hinter die Kulissen der vornehmen Gesellschaft in der Zeit zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg sowie danach bis in die 1960er-Jahre.

Das Personal des Waldhauses vermerkte neben den Aufenthalten der Gäste auch Beobachtungen und Einschätzungen auf Karteikarten, mal freundlich, mal weniger freundlich und sicher nicht für die Augen Dritter bestimmt. Wer nicht mehr gerne gesehen war, sollte keine Ostergrüße mehr erhalten – daher der Titel. Der Fotograf und Chronist des Alpentourismus Lois Hechenblaikner präsentiert zusammen mit der Autorin Andrea Kühbacher und dem früheren Direktor des Hotel Waldhaus Rolf Zollinger einen Teil der Kartei und setzt diese in den zeitlichen Kontext, ergänzt Informationen zu Personen sowie zum Leben und Tourismus in jener Zeit.

 

Was hat mich besonders fasziniert?

Das Buch ist eine wahre Zeitreise und erlaubt Einblicke in eine wohl längst vergangene Welt, als (wohlhabende) Menschen noch für mehrere Wochen zur Sommerfrische in die Berge fuhren, Trinkkuren statt Wellness zelebrierten und der Fünf-Uhr-Tee der gesellschaftliche Höhepunkt des Tages war.

Was neben den Einblicken in die Welt des dokumentierenden Hotelpersonals jedoch auch erschreckt, ist der offene antisemitische Geist, der in vielen Kommentaren und Eintragungen zum Ausdruck kommt. Das Personal war sich nicht zu schade, alle möglichen Klischees über jüdische Gäste schriftlich zu fixieren. Gleichwohl erlebt der*die Leser*in, wie die Zeitgeschichte auch vor dem Hotel nicht Halt macht: Wenn auf den Karten jüdischer Gäste aus Deutschland ab 1938 steht „Ostergrüße retour“ oder „unter der Adresse nicht bekannt“ kann man sich ausmalen, was dies zu bedeuten hat. Umso wichtiger sind die biografischen Daten und Ergänzungen, die die Herausgeber zu den Personen liefern – nicht selten mit dem Hinweis auf Deportation und Ermordung in Konzentrationslagern. Auch die ergänzenden historischen Einordnungen von Hans Heiss und Bettina Spoerri sind wichtig für das Gesamtbild.

Der Schweizer Beststellerautor Martin Suter würdigt abschließend die Geschichte des Hotels in einer spannenden und ergreifenden Erzählung, die viele Facetten dieses Hauses einbezieht.

Das Grandhotel Waldhaus fiel 1989 einem Großbrand durch Brandstiftung zum Opfer und wurde nicht wieder aufgebaut. Hechenblaikner, Kühbacher und Zollinger schaffen ihm ein literarisches Denkmal, das zum Nachdenken herausfordert.

 

Für welche Gelegenheiten ist das Buch geeignet?

Das Buch ist für ein Schlechtwetter-Wochenende auf der Couch der perfekte Begleiter. Man sollte sich Zeit nehmen, um in die Welt des Grandhotels und seiner Gäste einzutauchen und sich gefangen nehmen lassen von dem, was einem auf den ausgewählten Karteikarten begegnet.