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Jugendarbeit im Nationalsozialismus

Epoche 2

Die Jugendarbeit des Alpenvereins während der Weimarer Republik war von ersten Versuchen, Jugendgruppen zu organisieren, gekennzeichnet und gleichzeitig stark beeinflusst von den zeitgenössischen, alpinistischen Vorstellungen.

 

Organisatorisch wurden Vorzüge wie eine Unfall- und Haftpflichtversicherung oder Ermäßigungen auf Hütten geregelt, die Jugendarbeit in der Satzung des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins verankert und eine Einteilung in verschiedene, altersbedingte Gruppen vorgenommen. Neben den Jugendwandergruppen stachen dabei vor allem die 1921 zunächst von der Sektion Austria eingerichteten und 1928 für die übrigen Sektionen anempfohlenen Jungmannschaften hervor. In ihnen war die 18-25-jährige Leistungselite zusammengefasst und sollte zum selbstständigen, führerlosen Bergsteigen befähigt werden. Für die Ausbildung der Leitenden wurden die ersten Lehrwartkurse eingeführt.1

 

Der Dachverband gab den einzelnen Sektionen allerdings bloße Richtlinien, die die einzelnen Sektionen umsetzen konnten, aber nicht mussten. So gesehen war der Inhalt, der den Jugendgruppen vermittelt wurde, stark abhängig von den jeweiligen Jugendleiter*innen und deshalb von Sektion zu Sektion mehr oder weniger unterschiedlich. Grundsätzlich waren die Jugendlichen im Alpenverein zwei Arten von Einflüssen ausgesetzt, die sie direkt und indirekt prägten. Direkter Einfluss waren sicherlich die Lehrinhalte der einzelnen Jugend-gruppenleiter*innen, bei denen besonders die Vermittlung technischer Kenntnisse - wie Kartenlesen, Knotenkunde, Wetterkunde etc. - eine große Rolle spielten. Hinzu kam die Betonung von Kameradschaft und Führerprinzip, wobei letzteres von den Jugendlichen absoluten Gehorsam und Disziplin verlangte.2

 

Als weiteres Erziehungsziel galt in den meisten Jugendgruppen, die im Alpenverein ab 1927 satzungsmäßig verankerte "Liebe zur deutschen Heimat"3 zu fördern. Von Anfang an war die Jugendarbeit im Alpenverein nationalistisch begründet worden und die Ausbildung der Jugendlichen stand zumeist unter zeitgenössischen Motiven wie dem des Kampfes mit dem Berg, aus dem die Bergsteiger*innen gestählt zurückkehren würden. Die daraus resultierenden Charaktereigenschaften sollten dann dem Deutschen Volk zum Wiederaufstieg verhelfen. Soldatische Männlichkeitsvorstellungen, insbesondere im Kontext der Niederlage im Ersten Weltkrieg, galten als Bergsteigerideal. Ernst Enzensperger, Jugendreferent bis 1928, schrieb in seinem Artikel "Aus alpiner Jugendarbeit" 1925:

 

"[Die Jugendgruppen] stellen [...] in derber Lodenkleidung mit schweren Nagelschuhen im zielbewußten Einführen in den zähen Kampf mit der Natur, in Gewöhnung an spartanische Einfachheit, in der Erfüllung herbster Pflichten gegen den Gefährten auf Leben und Tod eine Pflanzstätte der M ä n n l i c h k e i t dar, wie sie unser Vaterland augenblicklich braucht."4

 

Neben diesem direkten Einfluss gab es indirekte Einflüsse: beispielsweise das Vorbild der Jugendleiter*innen oder das Ideal, das aus den Texten in den alpinen Zeitschriften zu den Jugendlichen sprach. Sicherlich gab es in diesen Zeitschriften auch Artikel, die das bloße Wandern oder die Freude an der Bewegung hervorhoben, entscheidender Orientierungspunkt war allerdings eher die als heldenhaft skizzierte Leistungselite. Dabei wurden "Werte" wie eine übertriebene Risikobereitschaft, das bewusste Aufsuchen von Gefahren, die Betonung der Kameradschaft, in der das Seil die Verbundenheit auf Leben und Tod symbolisierte, Mut, Ausdauer, Zähigkeit etc. propagiert. Diese Werte sorgten für eine Kompromisslosigkeit der damaligen Bergsteiger*innen, die für eine schwere Tour einen Absturztod mehr als bereitwillig in Kauf nahmen.5

 

Hinzu kamen völkische Bestrebungen im Alpenverein, die bei einer Reihe von Sektionen die Einführung eines Arierparagraphen und 1924 den Ausschluss der überwiegend jüdischen Sektion Donauland zur Folge hatten,6 sowie ein radikaler Kulturpessimismus. Beide wirkten auf die Jugendlichen ein und trugen einen erheblichen Teil zur Eingliederung des DAV in den Nationalsozialismus bei. Die Ablehnung einer als verkommen, grau und kleinlich wahrgenommenen Gesellschaft mitsamt ihren Alltagserfahrungen sowie die Ablehnung von grundsätzlichen Erscheinungen der Moderne sorgte frühzeitig für bestimmte Kontrastfolien, beispielsweise Hochland vs. Flachland, Ernst vs. Nichtigkeiten. Diese Naturerfahrung, die durch das Vorbild der Jugendwanderbewegungen und der sogenannten Bergvagabunden7 idealisiert worden war, setzte dabei auch die Einheit einer "großen" Natur den als "nichtige Streitigkeiten" und "kleinliche Uneinigkeit" bezeichneten Richtungskämpfen in der Weimarer Republik gegenüber. Gerade dieses Einigkeitsverlangen war besonders anfällig für die völkische Ideologie.

 

Deren zentrales Element bildete die Aussicht, dass alle gesellschaftlichen Probleme und Uneinigkeiten in einer sogenannten Volksgemeinschaft überwunden werden könnten. Die Unterschiede zwischen einander, politisch und sozial, würden aufgelöst zugunsten eines gemeinsamen Ideals: des Vaterlands, auf dessen Wohl alles Streben ausgerichtet ist.

 

Diese ideologische Anfälligkeit sorgte für eine Sehnsucht nach einer großen, einer neuen Zeit, die viele Alpenvereinsmitglieder in der Etablierung des Nationalsozialismus realisiert sahen.

 

Der Nationalsozialismus

Die Jugendarbeit des Alpenvereins während der Weimarer Republik nahm vieles vorweg, was für die Jugendarbeit des Nationalsozialismus charakteristisch gewesen ist. Im Nationalsozialismus lag die Jugendarbeit vollständig in den Händen des Staates, der für die Jugenderziehung Organisationen wie die Hitlerjugend oder den Bund Deutscher Mädel einrichtete. Die grundsätzliche Jugendorganisation des Alpenvereins blieb bis kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unverändert, ehe die Jugendgruppen in sogenannte HJ-Bergfahrtengruppen und vereinzelt in Mädelgruppen umgewandelt wurden. Die bergsteigerische Ausbildung, insbesondere im Hinblick auf die militärischen Gebirgsformationen, übernahm der Alpenverein vollständig. Nur er hatte die Befugnis, sogenannte Eignungsscheine auszustellen, die die Inhaber berechtigten, zu den Gebirgstruppen zu stoßen. Dabei waren vor allem die Lehrwartschulen zentral, die als "Vorschulen für den Krieg"8 betrachtet werden müssen.9

 

Inhaltlich hatte sich das Bergsteigerideal, das die Jugendlichen vermittelt bekamen, höchstens in Nuancen verändert. Heldentum und Kameradschaft wurden weiterhin als elementare Charakteristika propagiert, die nationalistische Ausrichtung und der militaristische Duktus wurden verstärkt. Die Schnittmengen zwischen Bergsteiger und Soldat wurden noch mehr als in der vorangegangen Epoche betont, letzte Trennlinien schwanden.10 Der Antisemit Eduard Pichl, Hauptagitator beim Ausschluss der Sektion Donauland aus dem Alpenverein, bezog sich in einem Artikel von 1934 explizit auf Ideale, die bereits zuvor vorherrschend waren:

 

 

"Mut, Unternehmungslust und Forschungstrieb, Abenteuersucht, Geistesgegenwart, Kühnheit, Pflichtgefühl, Pünktlichkeit, Selbstbeherrschung, Natur- und Heimatliebe, Ausdauer, Geschicklichkeit, Selbstlosigkeit, Kameradschaft, seelische Hochwertigkeit, Treue usw. Wer diese Leiter siegreich erklommen hat, der wird den heldischen Geist erfassen oder ihm wenigstens sehr nahekommen, der wird auch die Furcht vor dem Tode möglichst meistern lernen." 11

 

Die nationalistische Konnotation des Bergsteigens schilderte er wenig später:

 

"Wir wissen, daß, wenn wir zu Friedenszeiten in die Berge gehen und mit einer äußerst schwierigen Fels- oder Eiswand auf Tod und Leben ringen, wir damit nicht unserem Volk oder unserem Vaterland unmittelbar einen Dienst erweisen [...], aber wir fühlen es, daß, trotz aller Freude an der Leistung selbst, der tiefste Sinn solcher Taten der ist, in Tronjer-Mut und -Trotz Männer mit heldischem Geist auszubilden, die ihrem Volk und Vaterland brauchbare und wertvolle Söhne werden."12

 

Bildband - Der Nationalsozialismus

Quellen

1 Achrainer, M. / Mailänder, N.: Der Verein, in: DAV/ ÖAV/ AVS (Hsg.): Bergheil. Alpenverein und Bergsteigen 1918-1945, Köln 2012, 193-318, 208-217; Enzensperger E.: Die Beschlüsse der Stuttgarter Hauptversammlung in der Jugendfrage, in: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenverens (=MDuOeAV) 1928, 182-185; Mailänder, N.: Spitzenbergsport, in: DAV 2012, 87-174, 121f.; Schmidt-Mummert, I.: Alltagstelegramme, in: DAV 2012, 17-74, 28f.

2 Mailänder 2012, 121.

3 Satzung des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1927.

4 Enzensperger, E.: Aus alpiner Jugendarbeit, in: Zeitschrift des DuOeAV 1925, 75-89, 80.

5 Mailänder 2012, 112-115.

6 Vgl. zum Ausschluss der Sektion Donauland Achrainer / Mailänder 2012, 231-241; Kissling, W.: "Ob Jude oder Christ, ob Hoch oder Nieder - wir wollen nur nach dem Menschen sehen." Bruchstücke für eine Geschichte des Wiener Alpenvereins "Donauland", in: Berger, H. / Dejnega, M. / Fritz, R. / Prenninger, A. (Hsg.): Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen. Festschrift für Gerhard Botz, Wien 2011, 287-316, 291-294.

7 Vgl. hierfür Mailänder 2012, 117.

8 Bendler, G.: Alpindidaktik, in: DAV 2012, 507-556, 549.

9 Bendler 2012, 544-549; Achrainer/ Mailänder 2012, 304.

10 Springenfeld, K.: Bergsteiger und Soldat, in: Zeitschrift des Deutschen Alpenvereins 1942, XI-XVI.

11 Pichl, E.: Das Heldische im Bergsteigen, in: MDuOeAV 1934, 77f., 77.

12 Ebd, 78.

 

Autor

  • Autor "Epoche 2 - Jugendarbeit im Nationalsozialismus": Maximilian Wagner
 

jung.laut.bunt.

Übersicht der virtuellen Zeitreise

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100 Jahre Jugendarbeit im Deutschen Alpenverein – eine ganz schön lange Zeit. Was ist seit 1919 alles passiert und wie wurde die JDAV so, wie sie heute ist? Das wird in der virtuellen Zeitreise „jung.laut.bunt.“ erzählt. Zum 100-jährigen Jubiläum der Jugendarbeit im DAV im Jahr 2019 haben wir in Archiven, Büchern und Zeitungen gestöbert und viele interessante Geschichten (wieder-)entdeckt. Ein Beispiel: Die Anfänge der Jugendarbeit vor 100 Jahren hätten auch ganz anders aussehen können, wenn die „Wandervogelbewegung" als Vorbild genommen worden wäre. Oder wusstest du eigentlich, dass die Jubi nicht schon immer in Bad Hindelang, sondern davor an einem anderen Standort war? In den 80er Jahren ging es dann ganz schön bunt zu und der Naturschutz wurde immer wichtiger. 

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Epoche 3.1 - Kontinuitäten und Brüche

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Mit der Wiedergründung des Alpenvereins 1950 - er wurde zunächst nach dem Zweiten Weltkrieg nach dem alliierten Kontrollratsgesetz Nummer 2 verboten - begann zugleich auch die Wiedererrichtung der Jugendarbeit, die bei einem Großteil der Sektionen bereits noch während der Verbotszeit eingesetzt hatte. Dabei wurden die vormalige Einteilung in Jugendgruppen und Jungmannschaften ebenso wie die vorangegangenen Ermäßigungen und Versicherungen wiederhergestellt.